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Professor P.’s Rhythm and Soul Revue

Professor P.’s Rhythm and Soul Revue

Professor P. entspannt heute in seinem Schaukelstuhl, den dreibeinigen Kater im Schoß und den einäugigen Alligator zu Füßen. Dazu laufen neue Werke von The Allergies, Fantastic Negrito, Lady Wray, Eli Paperboy Reed und Tami Neilson.

Unten schleppte sich der Fluss träge gen ferne Meere. Der Himmel kippte in ein dunkles Orange-Rosé, allmählich von der Dämmerung übertüncht. Ein schweres Schiff schob sich hinter Schattenrissen von Bäumen durchs Bild. Die hell erleuchtete Brücke schwebte über den Umrissen der Containertürme wie ein Zeppelin aus vergangenen Tagen. Davor zog eine von tausend Lämpchen geschmückte, auf Mississippi-Dampfer getrimmte Hafenbarkasse eine schaumige Spur durchs schwarze Wasser. Oben am Hang saßen der Professor und Mr. T. auf einer Parkbank. Im Rücken ein Vorstadtviertel, vor uns, weit unten, der Fluss. Zwischen den Bäumen jagten Fledermäuse die Abendmücken. Die Luft duftete noch nach dem warmen Frühsommerschauer, der uns zuvor überrascht hatte. Jetzt warfare die Bank getrocknet, wir saßen beisammen, ein Bier in der Hand und die Boombox zwischen uns. Die Musikauswahl warfare einem Algorithmus überlassen, der uns mit Soul, Blues und Elektronikbeats unterhielt. Hin und wieder schielten wir aufs Display, wenn ein Song besonders gefiel. Ab und zu tanzte ich ein paar Schritte. Niemand sah zu, der Abend warfare freundlich, warum nicht? Mit einem Mal groovte es plötzlich besonders. Piano-Beats, one, two, one, two, three, 4, elektronische Drum-and-Bass-Grundierung, darauf ausgebreitet eine uralte Stimme: “You know, God walked down, within the cool of the day, referred to as Adam by his identify…” Well, my associates, wem das bekannt vorkommt, vor dem zieht der Professor seinen Hut. Denn das ist eine schöne, wenngleich auch fern dem Mainstream verortete Songzeile aus „John The Revelator“ von Son House, dem großen Folk-Blues-Paten, der einst als Vorbild für Muddy Waters und Robert Johnson diente. Hier nun wird seine raue, raspelnde Stimme von zwei englischen Sample-Künstlern aus Bristol in ein tanzbares, das alte Erbe des Blues ehrendes Stück postmoderner DJ-Kunst verwandelt. So etwas weckt die Neugierde des Professors. Stay tuned.

The Allergies – Promised Land

Prof. P's Rhythm and Soul Revue
The Allergies – Promised Land; Label: Jalapeno Records; Format: CD, LP, DL 16/44

Dass die beiden aussehen wie Mark Foster, inkl. Kappe, Bart und Werberbrille, sowie dessen Biobauernhof betreibender Cousin aus Elmshorn oder Pfaffenhofen, das will der Professor ganz schnell in die Recyclingtonne für irreführende Assoziationen hauen. Die Produzenten und Sample-Künstler Rackabeat und DJ Moneyshot nämlich stammen vielmehr aus Bristol, von wo aus sie in den vergangenen Jahren die Tanzflächen der wilden, weiten Welt eroberten. Nach Lehrjahren als Hiphop-DJs mit umfangreicher Vinylsammlung komponieren sie unter dem Namen „The Allergies“ nun eigenes Songwerk und kreieren dabei eine unbedingt tanzbare Melange aus Shaft-Soul, Seventies-Funk und Elektro-House-Blues. Die bewusstseinserweiternde Wirkung von „God Walked Down“ aus dem Plattendebüt As We Do Our Thing von 2016 (zuvor auch auf der EP Kickin’ Up Dust erschienen) habe ich Euch ja schon beschrieben. Mit Promised Land ist nun das bereits fünfte Album in sechs Jahren erschienen, englische Arbeiterjungs halt. Das neue Werk magazine ich Euch nur wärmstens empfehlen für sonnige Herbst- und nach Bedarf verregnet-vernebelte Frühwintertage, wenn Euch der Blues am Schlafittchen packen sollte und Ihr ein wenig aufmunternde Unterbodenbelüftung vertragen könnt. The Allergies haben in ihrem südwestenglischen Soundlabor ein schräges Dutzend Tanzboden-erzitternde Songs aus allerlei trefflichen Zutaten zusammengemorpht, Freunde, da zucken sogar die fetten Brummer an den Fliegenfängern noch mit den vertrockneten Beinchen. Hört hier mal rein: „Love Somebody“ (Breitwandsoul mit funky Bläsergewitter und feinem Scratching), „Promised Land“ (Soul-House-Opus mit Anleihen bei Moby und Fatboy Slim) und „Utility Man“ (Retro-Rap-Hommage mit Andy Cooper am Mikrofon, Frontrapper bei Ugly Ducking aus Los Angeles, den 90er-Jahre-Legenden mit Kulturinteresse, die sich einst nach dem Hässlichen Entlein von Hans Christian Andersen benannten.)

Fantastic Negrito – White Jesus Black Problems

Prof. P's Rhythm and Soul Revue
Fantastic Negrito – White Jesus Black Problems; Label: Storefront Records; Format: CD, LP, DL 24/48

Ja, da bebt die Pumpe hinter des Professors morschen Rippenbögen. Man schwingt die alten Knochen von der Chaiselongue und zaubert einen verwackelten Shuffle aufs holzwurmzerfressene Parkett, Freunde, das Leben hat uns wieder. Bei einer Handvoll Musiker werde ich regelrecht nervös, wenn sich eine Neuveröffentlichung andeutet, der manisch-geniale Fantastic Negrito gehört dazu. Mit tremorigen Fingern nestelte ich eben die neue CD ins Gerät: ächz, seufz, freu und hechel, um ein paar von Dr. Erika Fuchs kreierte Inflektive auszuleihen. Das Werk startet mit einem Song, „Venomous Dogma“, der von den Beatles aus deren Sgt.-Pepper-Phase stammen könnte, aber nur bis zum Refrain “Locked Down on this gap, ohh it’s so lonely”, da Xavier Amin Dphrepaulezz aus Oakland, Kalifornien alias Fantastic Negrito den Beschleuniger anwirft und das Stück in eine fanatisch röhrende Welt aus Gospel, Funk, Rock, Soul und Punk überführt. Mit „Highest Bidder“ geht’s weiter in der Grauzone zwischen nervösem Funk-Jazz und manisch-depressivem Atonal-Folk. Weiter, weiter: „They Go Low“ pingpongt zwischen postmodernem Ghetto-Soul und dem Gospel-Blues der Apokalypse. Schließlich: „Man With No Name“, ein wild waberndes Funk-Opus mit Hardrock-Refrain und Gospel-Grundierung. White Jesus Black Problems ist ein kreatives, jede Sekunde überraschendes Meisterwerk, inklusive Chain-Gang-Chören, Afro-Rhythmen, Funkgitarren, Moog-Synthesizer und alter Yamaha-Transistororgel … Eine Auseinandersetzung mit dem Amerika des 21. Jahrhundert, eine Rückschau auf knapp 300 Jahre Familiengeschichte, da einst ein Ur-Ur-Urgroßvater des Künstlers, ein schwarzer Sklave, eine Beziehung mit einer weißen Dienstmagd aus Schottland einging … Wer mehr über Fantastic Negritos Leben & Schaffen erfahren möchte (Drogendealer, Unfall, Koma, Biogemüsebauer, Straßenmusiker, Youtube-Phänomen, drei Grammy Awards, Labelbegründer …), der lese bitte das fantastische Fantastic-Interview in FIDELITY Nr. 51.

Lady Wray – Piece Of Me

Prof. P's Rhythm and Soul Revue
Lady Wray – Piece Of Me; Label: Big Crown; Format: CD, LP, DL 16/44

Ein bisschen verliert der Professor den Überblick, was da so in Brooklyn im Daptone-Universum passiert, aber das macht ja nichts. Irgendwie gründet jeder der vielen Studiobetreiber mal ein Schwesterlabel, es gibt zum Beispiel noch Wick Records, Ever-Soul Records und Dunham Records, aus Soul Fire Records wurde Truth and Soul, daraus entwickelte sich Big Crown Records, so meine ich der Spur korrekt gefolgt zu sein. Jedenfalls freue ich mich immer, wenn wieder einmal etwas Neues aus diesem Kosmos in meinem Schoß landet, von Platten von El Michels Affair, The Budos Band, natürlich Sharon Jones und Lee Fields habe ich Euch in der Vergangenheit gerne berichtet. Und heute reihe ich Piece Of Me von Lady Wray in diesen Stammbaum der in New York produzierten Neo-Soul-Künstler ein. Das zweite Album bei Big Crown, nach dem 2016er Debüt Queen Alone, ist ein feines, tief im R’n’B verwurzeltes Werk, allerdings in der Pop- und Hiphop-Auslegung dieser oft missverständlich genutzten Abkürzung. Was dem Produzenten Leon Michels, einst Begründer der Band Sharon Jones & The Dap Kings, intestine gelang: die Wurzeln von Lady Wray im tatsächlichen Rhythm and Blues erahnen zu lassen. Denn die lagen, trotz Jugend im Gospelchor, lange verborgen. Als 15-Jährige durfte Nicole Wray in der Band von Missy Elliot singen, hatte noch als Teenager mit „Make It Hot“ einen Top-Ten-Hit, schleppte sich aber dann eher desillusioniert durchs Business, bis sie 2010 im Backgroundchor von Lee Fields den Einstieg in die Daptone-Welt schaffte. Das zweite Album auf Big Crown nun bietet warmen Siebzigersound, freundliche Basslinien, sanfte Uptempo-Beats, markante Grooves. Alles sauber und glatt produziert wie ein Jamiroquai-Album. Dem Professor gefällt’s, auch wenn es mich nicht aus dem Schaukelstuhl gerissen hat, muss ich sagen. Wer aber neues High-End-Equipment testen magazine, dem sei dieses Werk auf jeden Fall empfohlen.

Eli Paperboy Reed – Down Every Road

Prof. P's Rhythm and Soul Revue
Eli Paperboy Reed – Down Every Road; Label: Yep Roc Records; Format: CD, LP, DL 16/44

Wenn der Professor in seinen alten Station Wagon steigt und die Pferdchen antreibt, dann spielt, Manie des Infotainmentsystems, eine immergleiche Best-of-Playlist der auf meinem Mobiltelefon abgespeicherten Songs ab. An Position eins stehend, vom Algorithmus bestimmt und somit bei jeder Fahrt begrüßend erklingend: „A New Song“ von Eli Paperboy Reed. Mittlerweile hat sich bei mir eine gewisse Müdigkeit hinsichtlich des 2019 veröffentlichten und hier besprochenen Albums 99 Cent Dreams eingestellt, gepaart mit Frust über den mir innewohnenden Mangel an Techniksachverstand, diese musikalische Murmeltier-Endlosschleife stoppen zu können. Insofern hat die Veröffentlichung eines neuen Albums von Eli Paperboy Reed schon quick therapeutischen Wert für den Professor, zumal Down Every Road ein besonders gelungenes Werk ist. Der so vielseitig begabte Soul-Shouter aus Boston, bürgerlicher Name Eli Husock, der seine Liebe zum Rock’n’Roll auf vergangenen Alben auslebte, widmet sich hier dem Country-Œuvre des unvergessenen Merle Haggard. Offenbar lag sein Vater, Husock senior, der ein paar sehr rührende Liner Notes für Down Every Road verfasste, seinem Sohn seit Jahr und Tag damit in den Ohren. Kinder, hört auf Eure Väter, zumindest ein- bis zweimal im Leben! Wie Eli Paperboy Reed, der einst als weißer Twen, Typ Highschool-Quarterback, nach Clarksdale, Mississippi umzog und dort den Blues in namenlosen Juke Joints erlernte, später als Musical Director einen schwarzen Gospelchor in Chicago leitete, sich hier nun recht ehrfürchtig in den Originalarrangements von Haggard bewegt und diese dennoch mit funky Soul im Stile alter Stax-Aufnahmen auf den Kopf stellt, man-oh-man, that’s freakin’ unbelievable. Haggard, 2016 verstorben, Ende der 50er als Insasse von San Quentin im Publikum von Johnny Cashs erstem Gefängnis-Konzert und später Autor von knapp 40 Nummer-eins-Hits in den amerikanischen Country-Charts, würde sich über die Neuinterpretierung seiner Klassiker sicher freuen. Wie der erst knapp 40-jährige Reed „Mama Tried“, „I’m Bringing Home Good News“ und „Working Man Blues“ in swingenden Soul übersetzt und die professoralen Boxen zum Tanzen bringt, das ist große Kunst. Und auch den Country-Schmelz hat Mr. Paperboy im Repertoire: Bei der Neugestaltung von „I’m A Lonesome Fugitive“ (den Haggard zwar gerne spielte, komponiert aber wurde der Song von Liz Anderson, bekannt auch für den Welthit „Rose Garden“, den sie für ihre Tochter Lynn Anderson schrieb) weint der Verstärker des Professors vor Rührung.

Tami Neilson – Kingmaker

Prof. P's Rhythm and Soul Revue
Tami Neilson – Kingmaker; Label: Outside; Format: CD, LP, DL 24/44

Der Professor sitzt auf seiner Sumpfveranda. Aus den Boxen wehen magisch klingende Weisen in die Abenddämmerung. Zeitgemäß, zugleich zeitlos-traditionell. Voodoo en vogue, so-to-say. Der dreibeinige Kater zuckt schnurrend mit den Krallen im Schoß. Die Trauerweiden wiegen sich in einer milden Böh. Der einäugige Alligator wippt schlapp mit dem Schwanz und zwinkert mir zu. Well, effectively, effectively… Man könnte meinen, Tami Neilsons Album Kingmaker sei in einem Studio deep down south aufgenommen, irgendwo tief im Delta des Ol’ Man River. Tatsächlich warfare’s extraordinarily deep down south, in Neuseeland nämlich. Langjährige Leser unserer kleinen Ryhthm and Soul Revue wissen das, verneigte ich mich doch bereits vor vielen Monden vor dem Schaffen von Tami Neilson. Achtung, Rückspul-Klammern: (Neilson spielte als Tochter der kanadischen Familienkapelle The Neilsons Country up and down the highway, wurde als Baby von Roy Orbison gewiegt, spielte mit zehn an der Seite von Country-Queen Kitty Wells, eröffnete im Schlafanzug – warum, konnte der Professor nicht herausbekommen – für Johnny Cash … Die Liebe führte sie schließlich nach Neuseeland, wo Tami Neilson als Straßenmusikerin neu anfing, einen Polizisten heiratete, zwei Kinder bekam, mittlerweile fünf Alben aufnahm und in der südlichen Hemisphäre heute als Country-Soul-Star gilt, tja, das Schicksal ist ein schöner Geschichtenerzähler.) Das nun hier heat empfohlene fünfte Album additionally wurde in Auckland im Studio von Neil Finn eingespielt, manch musikhistorisch gebildetem Leser als Sänger/Komponist von Crowded House („Don’t Dream It’s Over“) bekannt. Ach, Freunde, ich wünsche mir, dass Ihr dem Werk Gehör schenkt: Eine feine Mischung aus Soul, Rockabilly, Gospel und moderner Independent-Rhythmik. Dazu ein Manifest für Frauenpower, hört ruhig mal mit gespitztem Ohr zu. Anspieltipps: „Kingmaker“ (der Titelsong klingt in seiner beschwörenden Western-Charakteristik wie ein Hidden Track vom Kill Bill-Soundtrack: Yeah!), „Careless Woman“ (Verwirbelung von Drums, Handclaps, Cello und Klarinette) und „Beyond The Stars“ (Duett mit Willie Nelson: Der Song ist Nelsons verstorbener Schwester Bobbie sowie Neilsons kurz zuvor verschiedenem Vater gewidmet, der im Übrigen ein großer Willie-Fan warfare und nun auf Wolke sieben eine Träne der Rührung auf sein himmlisches Banjo tropfen lässt. Schön.)

(Mississippi, umweht von einer frischen Brise des Berner Oberlands).

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Prof. P.’s Rhythm and Soul Revue

Prof. P.’s Rhythm and Soul Revue – Frankly, my dear, I don’t give a damn

Der Professor meldet sich zurück mit Reha-Soulrockfunk von Wille & The Bandits, St. Paul Petersen, Eric Gales, Beth Hart und Marc Amacher.

Hab Euch vermisst, Freunde. Vielleicht habt Ihr es gemerkt, vergangene Ausgabe war der Professor nicht in da house. Mein Sumpfpony meinte mich auf glatten Wegen abwerfen zu müssen. Der Prof. rollte in den Graben und musste sich mühsam wieder aufrappeln. Nun sitze ich in fragwürdiger Haltung an der Maschine, um Euch ein neues Kapitel unserer never ending Rhythm and Soul Revue in die Tasten zu hämmern. Es geht weiter, immer weiter – auch wenn ich mir nach diesem Intermezzo nochmals eine kurze Zwangspause gönnen werden muss, um alle Knochen wieder dahin zimmern zu lassen, wo sie hingehören. Seid versichert: I’ll be back, um hier eines der 100 bedeutendsten Zitate aus amerikanischen Filmen anzuführen, auf Platz 37 übrigens der Liste des American Film Institute. Auf Platz eins, wen’s interessiert: “Frankly, my dear, I don’t give a damn” – die letzten Worte, die Rhett Butler in Vom Winde verweht an Scarlett O’Hara richtete. Nun denn, der Professor hat noch viele, viele Worte in der Pipeline, lasst Euch also von seinem kleinen Sabbatical nicht beunruhigen. Genug überhaupt davon. Jetzt sitzen wir gerade so schön zusammen, lasst mich Euch also ein bisschen von dieser und jener Platte erzählen, die die vergangenen Wochen den Weg zu mir fand. Anfangen will ich mit einem nostalgischen Gefühl der Wehmut, etwas, was auf diesen Seiten ja immer wieder mal aus dem Gebüsch springt. Vor einer halben Ewigkeit, kurz bevor wiederum das Virus aus der Hecke hüpfte, besuchte ich ein halbverwaistes Etablissement in einer Seitenstraße unweit des North German Mississippi. Vor kleinem Auditorium brachialblueste dort ein Trio aus dem schönen Cornwall, die anonymen Rosamunde-Pilcher-Enthusiasten unter Euch werden sofort allerromantischste Bilder vor Augen haben. Man sprang von links nach rechts und zurück, ließ die Beine zappeln und wiegte sich entrückt vom Hier-und-Jetzt zu psychedelischen Endlossoli, ach, allein die Erinnerung verschafft mir einen kleinen Orgasmus. Well, stay tuned.

PS: Zwei, drei von Euch grübeln noch, von wem das Zitat “I’ll be back” stammt? Nun, kleiner Tipp: In Teil 2 der Filmreihe sagt derselbe Terminator: “Hasta la vista, baby.”

Willie & The Bandits - When The World Stood Still
Wille & The Bandits, When The World Stood Still, Label: Fat Toad Records, Format: CD, LP, DL 16/44

Cornwall im Südwesten Englands scheint nicht die schlechteste Ecke der Welt zu sein, um die Pandemie auszusitzen. Der Atlantik bläst frisch übers grüne Land, das von drei Seiten von Wasser umgeben ist und sowohl den westlichsten (Land’s End) als auch den südlichsten Punkt (Lizard Point) Englands zu bieten hat. Das Klima ist mitunter mediterran bis verregnet, in Newquay trifft man sich zum Surfen, beobachtet von den Locationscouts von ARD und ZDF für den nächsten Wellnessfilm im deutschen Hauptabendprogramm. Irgendwo hier wohnen Wille Edwards und seine Bandits, und da man als „Großbritanniens beste Liveband“, wie manch Expertenforum für britischen Bluesrock durchaus zu Recht superlativiert, in vergangenen Jahren recht wenig zu tun hatte, komponierte man zum Glück auf der Couch herum, gruppenfinanzierte sich in Fankreisen ein nettes Spendensümmchen zusammen und buchte sich alsbald in den romantisch an den Ufern des Fowey Rivers gelegenen Sawmill Studios ein. Googelt das mal, folks, da will man gleich Musiker werden, nur um dort mal aufnehmen zu dürfen – wie übrigens auch schon Oasis, Robert Plant oder The Kooks. Wille & The Bandits nun schufen hier ein grandioses Studioalbum, ihr fünftes, banden alles an Soul, Blues, Stoner Rock, Psychedelic und sonstigen Swamp-Vibes, die offenbar in den Moor- und Heidelandschaften des Fowey Rivers herumwehen. Mittlerweile um eine Hammondorgel vom Trio zum Quartett gereift, präsentiert die Band ihr wohl vielseitigstes, reifstes Werk. Bombastrock, Bottleneck-Slide und Blueswumms verschmelzen zu einem ganz eigenen, in den Siebzigern verhafteten Soulrocksound. Hört mal hier rein: „Caught In The Middle“ (der Eröffnungssong morpht Psychedelic Soul und Hip-Hop zu einer schönen Boom-Ballade über gnadenloser Bassline) und „I’m Alive“ (pumpender James-Bond-Rock mit exotischer Gewürznote, very interesting, indeed).

ST. Paul Peterson - Break One Free
St. Paul Peterson, Break One Free, Label: Leopard Records/Delta Music, Format: CD, LP, DL 24/48

Break one free – kann man so übersetzen: sich von etwas frei machen. Oder einfach „mal einen raushauen“. Bei St. Paul Petersons neuem Werk trifft’s eher Auslegung B. Denn der frühere Mitarbeiter von Prince hat mit Break One Free tatsächlich jenseits der Midlifecrisis – er ist knapp 60 – ein Album rausgehauen, liebe Leute … Funk aus fast vergessenen Tagen, fett und dennoch zeitlos frisch, Achtzigerjahre-Saxofonsoli inklusive. Samuraischwertscharfe Arrangements von Wah-Wah-Gitarren, Bläsergewittern und vollmundig quakender Hammond, angetrieben von Basslinien, die nicht von dieser Welt stammen. Freigemacht vom ehemaligen Entdecker, Mastermind und Boss hat sich hier also niemand, war sicher auch nicht geplant. Das Ganze klingt stark nach Prince, und das ist ja auch kein Wunder. Paul Joseph Peterson beendete gerade die Highschool, als Prince den damals 17-Jährigen als Vollzeitkeyboarder für seine Begleitband The Time verpflichte, als Ersatz für den geschassten Tastengott Monte Moir übrigens. Das war 1983, bereits ein Jahr später gelangte Peterson in den Reihen von The Time zu Weltruhm als Teil der Film-, Album- und Tourband zum Erfolgsprojekt Purple Rain. Kurz darauf wiederum baute Prince rund um den jungen Keyboader und talentierten Sänger die Band The Family auf. Der nun als St. Paul firmierende Musiker war damit der erste, der die Prince-Komposition „Nothing Compares 2 U“ singen durfte, bevor das Stück an Sinéad O’Connor ausgelagert wurde. Obwohl auf Break One Free einige für meinen Geschmack zu glatt produzierte R’n’B-Balladen zu finden sind, auch das war, sind wir ehrlich, ein Prince-Trademark, hauen mich doch einige Stücke dermaßen in die Seile, dass ich glücklich angezählt übers Parkett wanke. Titelsong „Break One Free“ mit Gastgitarrist Eric Gales beispielsweise wird Euch alle Synapsen neu programmieren, Freunde, und „Something In The Water“ ist genau der Minneapolis-Funk, den wir seit dem Tode von Prince so vermissen. A-one, A-two, you know what to do…

PS: Prince verstarb ja vor sechs Jahren – doch nun ist offenbar ein seltsames Filmdokument aus alten Tagen aufgetaucht. Redaktionsgeister raunten mir zu, dass hier bald mehr zu erfahren ist …

Eric Gales - Crown
Eric Gales, Crown, Label: Provogue/Mascot Music, Format: CD, LP, DL 24/96

Aufmerksame Leser wissen, dass auf den Seiten unserer kleinen Rhythm and Soul Revue eins ins andere greift, Zufälle gehören nicht ins Repertoire der professoralen Texterstellung. Droppte ich eben noch bei der Beschau von Break One Free nebenbei den Namen Eric Gales, dann war das natürlich ein durchkalkulierter Move. Denn hier sind wir nun, schauen aufs neue Werk eben jenes seit ca. 30 Jahren als Wunderkind des Bluesrock gefeierten Gales. Bei seinem 17., 18. oder 19. Studioalbum, genau mag ich das nicht zu verifizieren, lässt sich der Gitarrenmeister von seinem Freund – und jahrelangen Wettbewerber in Sachen weltbester Bluesrock-Impresario – Joe Bonamassa produzieren. Crown wurde das Album benannt, und um es ganz klar zu machen, der Titelsong textlich noch etwas ausgearbeitet: „I Want My Crown“ heißt das Stück. Bonamassa, ebenfalls Mitglied im Club der ewigen Wunderkinder, steuert großzügig ein Gitarrensolo bei. Nun fahren wir aber den halbironischen Tonfall mal etwas zurück, denn das wird Crown nicht gerecht: Ein grandioses, sattes Album, das zwischen Soulfunk, Gospelgrunge und Bluesrock hin und her wabert wie eine Lavalampe auf einem atlantischen Fischkutter bei Windstärke zwölf. Beispielhaft möchte ich das Eröffnungsstück „Death Of Me“ durchdeklinieren, in dem Gates recht selbstkritisch über seine wilden Jahre reflektiert und sich überlegt, was er mit der Erfahrung von heute dem jungen Eric von einst gerne sagen wollte, der auch als Raw Dawg und Rap-Entertainer Lil E zu Ruhm in den Straßen von Memphis kam. Musikalisch ist das ein großes, stilumarmendes Werk, so wie gesamte Platte. Aus recht knackigen Funkversatzstücken schält sich bei „Death Of Me“ ein Soul, der kurz in Achtzigerjahre-Hardrock-Pop abzugleiten scheint, bevor das Stück sich neu findet als Funk-Rap im Stile Public Enemys und schließlich in einem fulminanten Gitarrensolo eruptiert. Serviervorschlag des Professors: Laut hören.

Beth Hart - A Tribute To Led Zeppelin
Beth Hart, A Tribute To Led Zeppelin, Label: Mascot, Format: CD, LP, DL 24/44

Bei allen Verwerfungen, die das Virus bei Kunst und Kultur zu verantworten hat: Dieses Album hätte es ohne Lockdown vermutlich nicht gegeben. Led Zeppelin könne man nur mit Wut im Bauch spielen, hat Beth Hart einmal gesagt, ihre Wut aber habe sie über viele Jahre durch zunächst Drogen, dann Therapie und vor allem viel sportliche Betätigung auf den Bühnen dieser Welt zu befrieden gewusst. Dann kam die Pandemie, die britische Rocksängerin, für besonders verschwitzte, hingebungsvolle Konzertdarbietungen bekannt, schmorte daheim in Los Angeles, Ohnmacht und Wut wuchsen. Schließlich rief sie Produzent Rob Cavallo an, bekannt auch durch seine Arbeit mit Linkin Park und Green Day. Er hatte Beth Hart seit Jahren mit einem Zeppelin-Projekt in den Ohren gelegen, nun hörte er: „Rob, jetzt machen wir’s.“ Und wie sie’s machten: Beth Hart wirft sich in die neun Songs der britischen Psychedelic-Hardrock-Legenden, als gäbe es kein Morgen. Mit ungefilterter Gefühlswucht röhrt, rockt und raunt sich die mittlerweile 50-Jährige durch Klassiker wie „Whole Lotta Love“ (vom zweiten Album Led Zeppelin II, erschienen 1969), „Stairway To Heaven“ (von Led Zeppelin IV, 1971) und dem ebenfalls unvermeidlichen „Kashmir“ (Physical Grafitti, 1975, mit einem der bekanntesten Gitarrenriffs der Musikgeschichte, aber wem erzähle ich das, Freunde). Garniert wird die Klassiker-Parade von Stücken wie dem funkigen „Crunge“ (Houses Of The Holy, 1973), mit dem Led Zeppelin einst den Hut vor James Brown zogen und mit ähnlichen Ausflügen in Gefilde rechts und links vom Rock-Highway zeigten, wie vielseitig sie doch waren. Beth Hart wiederum gelingt es, dank Wut im Bauch und wild schwingender Stimmbänder erstaunlich nah an Roberts Plants Stimmcharakter heranzukommen. Begleitet wird sie von einer Allstar-Band mit Gitarrist Tim Pierce (Bruce Springsteen, Tina Turner), Bassist Chris Chaney (Slash), Keyboarder Jamie Muhoberac (Bob Dylan, Iggy Pop) und Schlagzeuger Dorian Crozier (Celine Dion, Miley Cyrus, Joe Cocker). Wer meint, das könnte seelenlos sein, wenn Céline Dions und Tina Turners Auftragsmusiker zusammenkommen, dem sage ich: Frankly, my dear, I don’t give a damn. Hier würdigen Profis das Werk von Legenden, ohne Experimente, voll auf die Zwölf. Right on!

Marc Amacher - Grandhotel
Marc Amacher, Grand Hotel, Label: Jazzhouse Records, Format: CD, DL 16/44

Das Grandhotel Giessbach in der Schweiz sieht auf den ersten Blick nicht so aus, als würde hier die Muse wohnen, zu deren Portfolio Stoner Rock, das Erbe von Motörhead und schleppender Mississippiblues gehörten. Das Viersternehotel liegt hoch überm Brienzersee, von Natur und Heidipanorama umgeben, ein wenig aus der Zeit gefallen. Immerhin, so liest man in der Hotelchronik, haben das 1875 gebaute Haus schon immer „Dichter und Musiker besungen“, während „gekrönte Häupter mit ihrem Gefolge“ hier „neue Kräfte schöpften“. Nun, diese veradelten Vibes scheinen auch den gelernten Straßenbauer Marc Amacher beflügelt zu haben. Mit seiner Band hatte sich der aus Funk und Fernsehen semibekannte Sänger-Gitarrist im Grandhotel Giessbach einquartiert, um unter der Sonne des Berner Oberlands zu sich und seiner Kunst zu finden. Das war wohl auch nötig, hatte ihm ein Ausflug ins Casting-TV 2016 zwar eine gewisse Prominenz verschafft, immerhin trug es ihn bei The Voice of Germany ins Finale, wo er schließlich einem gewissen Tay Schmedtmann unterlag, dessen Namen ich bis heute noch nie vernommen hatte. Hernach aber wollten seine Betreuer Michi und Smudo von den Mäßigtollen Vier den rockenden Bluesmann aus dem Kanton Bern in dies und das Korsett stecken, dessen Verschlusshaken er nun zum Glück vollends und in künstlerischer Eigenregie gesprengt hat. Sein zweites Album Grandhotel jedenfalls macht dem Professor viel Freude: Marc Amacher ist ein Gitarrist mit Gespür für Tempo, Raum und Gniedeldosierung. Er jodelt sich mit rauchig-soulvollem Organ durch gut geschriebene oder clever gecoverte Songs und kreiert so einen eigenen, von Blues, Stoner-Rock-Gerumpel und spartanischer AC/DC-Arithmetik geprägten Sound. Hört hier mal rein: „Stay Clean“ (von Motörhead entliehener Brachialblues, belebt von psychedelischem Stoner-Atem) und „STFU“ (wabernder Blues aus dem Hinterland des Mississippi, umweht von einer frischen Brise des Berner Oberlands).

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Prof. P.’s Rhythm and Soul Revue

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KANADADIDELDUM

Der Professor verordnet bedächtiges Konsumieren von Puts Marie, Tiwayo, Nick Waterhouse, Fun Lovin’ Criminals, Cari Cari, Michelle David, Eli Paperboy Reed sowie Mother Upduff.

Der Professor hat ja hier, zwischen im kargen Redaktionskeller von meditierenden Jungmönchen mit Federkiel und flüssigem Gold handgeletterten Seiten, ein interaktives Langzeitprojekt laufen. Via quasi-genialer Selbstüberhöhung ziehe ich Euch, meine verehrten Versuchskikaninchen, immer wieder aufs Neue hinein in die professoralen Erlebniswelten. Entführe Euch, Hand in Hand in Zweierreihen spazierend, ins imaginative Zwischenreich Eures liebsten Rhythm-and-Soul-Vorturners, in eine Welt, in der Zeit und Raum nur mehr Illusionen sind, Träume in Träumen – wenn ich könnte, würde ich aus dieser wohlfeilen Idee der halbspirituellen und vollimaginären Leser-Blatt-Bindung ein Haiku formen, das jeden Großmeister der fernöstlichen Poesie am Nirwana zweifeln lassen könnte. Mach’ ich aber nicht. Sondern berichte Euch dies: Zwanzig Meter vor mir mäht ein guter Mann seinen Ferienhausrasen, es ist Freitag, die Rente ist unter Dach und Fach, drinnen brät Mutti Schollenschnitzel, da kann man draußen ruhig den Vormittag damit verbringen, 50 Quadratmeter Grünfläche im ewigen Hin und Her plattzutreckern. Ja, der Professor hat sich in sein jährliches Musen-Ersatz-Retreat begeben, in ein Kapitänshäuschen an den Gestaden eines abgelegenen Meeresbusens, um die Gedanken zu sortieren und den wartenden Redaktionsmönchen schlussendlich ein Textverarbeitungs-Dokument zum erweiterten Versand zur Verfügung zu stellen. Am Himmel grasen zarte Schäfleinwolken, ein Rotkehlchen oder Schwarzkopfseeadler tiriliert im Ginster- oder Hagebuttenbusch, die korrekte Bestimmung von Flora und Fauna gehörte noch nie zu meinen Stärken. Der Rasenmähermann aber sitzt jetzt zu Tisch, Freitagsscholle Finkenwerder Art, so ist’s zu vermuten ob der feinen Bruzzelspecknote in the air. Wollen wir uns also nun auf das konzentrieren, was wirklich zählt im Leben. It’s soultime, baby. Let’s get it on… Bzw.: Grüezi mitenand!

Puts Marie Catching Bad Temper Label: Two Gentlemen/Haldern Pop Recordings Format: CD, LP, DL CD-Qualität
Puts Marie Catching Bad Temper Label: Two Gentlemen/Haldern Pop Recordings Format: CD, LP, DL CD-Qualität

Ein schön kalter Montag, Freunde. Gletscheratem, Frühlingsgefühle on ice, if you know what I mean. Westschweizer Alpen und nördlicher Polarkreis pressten in heißkalter Begierde die Knie aneinander an einem Abend … Ja, was war das eigentlich für ein Abend? Jedenfalls schienen für ein, zwei Stunden die Kontinentalplatten derart verschoben, dass man beim Talabstieg vom Berner Jura gleich mit beiden Füßen in der North German subculture landete. In der dunstigen Dunkelgrauzone eines peppigen Hinterhofkellers experimentierte vor überschaubarem Publikum eine der besten leider komplett unbekannten Bands der Welt mit ihren vielerlei Talenten. Puts Marie aus Biel im Kanton Bern: Aufmerksame Leser werden sich erinnern, vor gut zwei Jahren bereits brach Prof. P. hier in unserem feinen Rhythm-and-Soul-Kompendium anlässlich der Veröffentlichung Masoch I-II dermaßen viele Lanzen für das Quartett, da wäre das Mittelalter lanzenlos gewesen. Nun ein neues Werk, Catching Bad Temper, und wieder eine Darbietung in des Professors Habitat: Mon dieux, mon ami, mon stermäßig, wie man in petite Bienne so sagt. Da kippten die vier Mannen der Vereinigung Puts Marie alles auf die Bühne, was man in bald 20 Jahren als tingelndes popkulturelles Mysterium so zusammengetragen hatte: Punkfunkschnipsel, Raprockfragmente, Texmexmixmax … Das wird dann zu einem magisch-manischen Schwiizersoul zusammengezwirbelt, man trägt noch Tage später eine Träne der lustvollen Begeisterung im Knopfloch des Holzfällerhemdes spazieren, geehrter Lesekreisel. In der Uhrenweltmetropole und Bauhausheimat Biel versteht man sich auf präzisest montierte Melodieminiaturen, auf scheinbar einfache Hymnen in brachial-verschachtelter Psychedelic-Tonalität … Ach, hört Euch das Werk selbst an. Anspieltipps: „Catalan Heat“ (schwerer Rhythmus, schleppend wie ein Bernhardiner mit Rum-Fässchen im Tiefschneehang oberhalb der Bieler Alpen plus Gitarre wie ein jodelnder Gamsbock), „C’Mon“ (lose Rap-Mischung aus Latino-Groove und Brooklyn-Beats, dazu eine Gitarre, verschlafen-funky wie ein gähnender Braunbär) und „The Waiter“ (zarte Melodie, von schwülen Gewittern umwölkt wie ein Gletschergipfel im Herbst).

Tiwayo The Gypsy Soul of Tiwayo Label: Blue Note/Universal Format: CD, LP, DL 24/44
Tiwayo The Gypsy Soul of Tiwayo Label: Blue Note/Universal Format: CD, LP, DL 24/44

Jetzt müssen wir mal eben zurückspulen, Achtung, time travel, fasten your seatbelts, folks. Vor hundertdreizehneinhalb Leben schlich der Professor, niedergedrückt vom Blues einer brackigen Beziehung, emotionally waidwund durch die Sümpfe des Südens der Verunreinigten Staaten, Moskitos im Nacken und einen alten Alligator an der Leine. Ja, bad ol’ times. Doch meine stolpernden Füße führten mich eines Abends in ein Etablissement mit Bowlingbahnen und Bluesbühne. Hier trat ein König des Soul und Rhythm’n’Blues auf, mittlerweile verstorben, den nur leider auch zu Lebzeiten fast niemand kannte außerhalb der City Limits von N’ Awlins: Snooks Eaglin, auch Little Ray Charles gerufen, wegen seines seelentiefen Gesangs und weil er blind war. 2500 Songs konnte er auf Zuruf spielen, auf einer zerrupften Gitarre. Allerdings wird meine Erinnerung an jenen Abend auf ewig auch vom Duft der Pinkelrinnensteine geprägt sein. Kurz vor dem Konzert suchte nicht nur der Prof. das Herren-WC auf, auch Mr. Eaglin, hereingeführt vom Drummer und den Stehplatz neben mir einnehmend … Ach, das waren Zeiten. Fast vergessen hatte der Professor dieses Anekdötchen, bis vor dreieinhalb Tagen wieder ein Soulbluesmann dem gleichen Bedürfnis in professoraler Nachbarschaft nachging, während draußen schon der Background-Chor zur Hammondorgel summte … Shake-and-dance, und sodann hetzte man Schulter-an-Schulter hinaus, der eine vor, der andere auf die Bühne. Tja, Freunde, das nennt man Borderline-Berichterstattung, da müsst ihr durch. Tiwayo wiederum nennt sich der Mann, von dem ich hier erzählen muss: Aufgewachsen in Paris, Straßenmusiker, durch die Südstaaten getingelt, Memphis, New Orleans, jetzt, mit Anfang 30, erste Platte, The Gypsy Soul Of Tiwayo, aufgenommen und produziert von Grammy-Mann Mark Neills (Black Keys, Los Straightjackets) im Soil of the South Studio in Georgia, abgemischt von Philippe Weiss (Selah Sue, Kendrick Lamar, Madonna). Lasst Euch nicht beirren vom Namedropping: ein gleichermaßen rauer und retrowarmer Geniestreich. Gospelsoul, Reggae und Blues in energiegeladene Soulpoparrangements gegossen. Anspieltipps: „A Place To Call My Own“ (Magische Mini-Melodie mit Gospel-Anklängen und Ohrwurm-Potenzial), „Wild“ (dito) und „Love Me Like You Say“ (das klingt wie ein verschollener Song von Santanas Abraxas, Seventies-warme uptempo Apres-Sex-Ballade in sanftem Lavalampen-Groove).

Nick Waterhouse Nick Waterhouse Label: Innovative Leisure Format: CD, LP, DL CD-Qualität
Nick Waterhouse Nick Waterhouse Label: Innovative Leisure Format: CD, LP, DL CD-Qualität

Zwischen der hymnischen Verehrung seines dritten Albums Never Twice hier im musikmagazinischen Tempel der Lust und den nun ebenfalls nur mühsam zu bändigenden Euphorieschüben anlässlich des mit dem eigenen Namen betitelten vierten Werks Nick Waterhouse durfte der Professor kurz den Tempel des Frusts besuchen bzw. ein Konzert des Künstlers. Das war ernüchternd. Kam irgendwie als Intellektuellen-Rock’n’Roll und Schöngeist-Soul für dauerfilmende Handypärchen rüber, coolgelangweilte Band, uninteressierter Waterhouse. Aber, Freunde der mittelschweren Tanzmusik, das soll uns hier und heute nicht mehr stören. Manch einer findet seine Bestimmung eben im Studio, so auch Nick Waterhouse, in diesem Fall in den Electro Vox Studios in Los Angeles, einem Traditionshaus aus den 1930er Jahren, in dem schon Charlie Parker und Bing Crosby im Pleistozän der Populärmusik erste Schritte unternahmen. Waterhouse, in einem Vinyl-Plattenladen in San Francisco zum Soulbruder gereift, mischt auch auf dem neuen Werk all jene Sounds der späten 50er und frühen 60er, als Rock-and-Roll in Soul überging, Gospel und Blues aus den Kirchen und Jukejoints in die Charts wanderten. Er mischt rohen Garagenrock mit glühendem Gospel, sanften Stax-Soul mit schartigem Surf, Blues mit Popballadigem. Das gefällt dem Professor. Listen: „By Heart“ (Dopamin ausschüttende Melodie, polternder Drum-Sound, Barrelhouse-Piano), „Song For Winners“ (schaukelnder Rhythm’n’Blues, dazu ein Whisky direkt aus dem Fass, bitte, und für die Lady einen Milkshake mit Schuss) und „I Feel An Urge Coming Up“ (Geschenk von Soullegende Joshie Jo Armstead an Waterhouse. Sie schrieb einst für Ray Charles, etwa „I Don’t Need No Doctor“, und sang im Background von Ike Turner und James Brown. Hier jetzt: satter Gospelgroove, den Waterhouse mit spartanischer Surfgitarre umtanzt).

Fun Lovin’ Criminals Another Mimosa Label: DiFontaine Format: CD, LP, DL CD-Qualität
Fun Lovin’ Criminals Another Mimosa Label: DiFontaine Format: CD, LP, DL CD-Qualität

So, das Rhythm-and-Soul-Live-Feed verkündet: Mittlerweile sitzt der Professor nicht mehr vor dem Kapitänshäuschen, sondern auf Platz 36 in Wagen 6 des ICEs von Hier nach Da, neben sich ein uralter Haudegen, der selten duscht und eine Vorliebe für mumifizierte Bananen und Salamistullen pflegt. Da muss der Professor sich aus purem Überlebensdrang in eine seiner gern besuchten Paralleldimensionen flüchten. Zum Beispiel mit Another Mimosa von den Fun Lovin’ Criminals. Kurz für Euch ein „Was bisher geschah“: Band der Neunziger, Stratosphären-Höhenflüge nach „Scooby Snacks“ mit Pulp Fiction-Filmzitaten und dem Coversong-Album Mimosa, seit einigen Jahren aber eher erdnah unterm Radar fliegend, die letzte Veröffentlichung ist neun Jahre her. Nun: wieder ein Coveralbum des New Yorker Trios. Grandios. Werke von Bobby Womack, Tom Petty bis hin zu Ice Cube … Covern ist ja keine leichte Disziplin. Die Fun Lovin’ Criminals aber beherrschen das unterschätzte Genre wie kaum eine andere Band: Neues Arrangement, neue Stilistik, wohlplatzierte Rap-Pointen – ohne den Wesenskern eines Werkes zu korrumpieren. „Rumble“ etwa, 1958 von Link Wray intoniertes Instrumental, das von Iggy Pop bis Jimmy Page einst jeden der heutigen Granddaddys des Psychedelic-Schrägstrich-Punk-Rocks zur Gitarre greifen ließ, kommt hier als cholesterinhaltige Instrumentalschwarte daher, mit grummelnder Tarantino-Gitarre, klagender Mundharmonika, Brachialbass und aggressiv polterndem Schlagwerk. „Going Down“ von Freddie King groovt als lässiger Southern Funk-Rock, Womacks „Daylight“ weht als flirriges Westcoast-Ding ins Ohr. Höhepunkt ist „Mary Jane’s Last Dance“, von Tom Petty nur als Single-B-Seite sowie auf einem Greatest-Hits-Album veröffentlicht. Pettys southern Swing, angereichert mit Hiphop-Beats und Stax-Bläser-Sound: That’s the spirit. Gaston bzw. Bahnservicemitarbeiter, noch einen Mimosa. Oder ein Chili auf Eis.
PS: Falls sich die Honigmilchtrinker unter den Lesern fragen, was in einen Mimosa gehört: zu gleichen Teilen Champagner und Orangensaft.

Cari Cari Anaana Label: DiFontaine Format: CD, LP, DL CD-Qualität

Wenn ein Duo aus Dösterreich mit Drumcomputer und Didgeridoo experimentiert, dazu eine düstere Deltabluesgitarre anschlägt, dann ist klar: Der Prof hat zu viel „D“ aus dem Scrabble-Säcklein gezogen … Aber ich will nicht ablenken, mache ich ja nie, wie Ihr wisst, nein, ich komme zum Punkt. Und der ist: Das Albumdebüt von Cari Cari gehört zu den schönsten Neuentdeckungen im professoralen Orbit. Großes Talent für hymnische Melodien in spartanischen Minimalarrangements, Americana-Tumbleweed-Sound mit düsteren Sisters-of-Mercy-Anklängen, Surf-Akkorde mit Wiener Distinguiertheit (noch ein D …). Hört hier hinein: „Summer Sun“ (von Stephanie Widmer geraunte mozarteske Melodei, umschlungen von schmeichelnder Retrogitarre und sanfter Basslinie), „Mapache“ (Ode an die mexikanische Surf-Gitarre bzw. Bewerbungssong für den nächsten Tarantino-Soundtrack. Der erste Schritt ist übrigens schon getan, Cari Cari finden sich in der Audiospur eines brasilianischen Surffilms sowie der US-Fernsehserie Shameless) und natürlich „Nothing’s Older Than Yesterday“ (ein Hit – wenn die Welt gerecht wäre. Minimalistische Ballade mit schönem Gitarrensolo hinten heraus). Kleiner Tipp Eures Eventberaters: Die Band tourt bis in den Herbst 2019 hinein.

Michelle David The Gospel Sessions Vol. 3 Label: MDGS Format: CD, LP
Michelle David The Gospel Sessions Vol. 3 Label: MDGS Format: CD, LP

Natürlich, das ahnen alle Freunde von Prof. P.’s Rhythm and Soul Revue, kommen wir auch in FIDELITY-Ausgabe Nr. 44 nicht ohne mittelalte Goudagrooves aus. Schon vor zwei Monaten lobte der Professor ja einen Wettbewerb aus für eine fundierte Begründung, warum zwischen Tulpen und Tomaten so viel Soul, Funk und Rhythm-and-Blues gedeiht, eine Antwort aber für dieses urniederländische Treibhausmirakel seid Ihr mir noch schuldig, geehrte Gospelgemeinde. Hier ein neues Fallbeispiel: Michelle David aus New York fand nach Ballettausbildung an der berühmten Fame-Highschool, Medizinstudium, Musical-Karriere, Background-Job bei Diana Ross und Tingeltangeljahren mit den Golden Gospel Singers erst im Schatten einer holländischen Windmühle ihre wahre Bestimmung. Mit zwei örtlichen Gitarristen/Produzenten formte sie eine Gospelfunk-Formation, Freunde, das klingt wie made in Memphis. Dritte Platte The Gospel Sessions Vol. 3 (Vol. 1 und 2 kennt der Prof. leider noch nicht): Funk und Soul und Blues und Gospel tanzen eng umschlungen auf schummrigem Dancefloor somewhere way down south, draußen lauert die Schwüle des Mississippi-Deltas, drinnen riecht’s nach deep fried crawfish … Solch Transzendenz vom Hier ins Da, das schafft nur, wer den Soul in der Seele trägt. Listen: „Taking It Back“ (Volltempo-R’n‘B-Funk inkl. Vollpowersoulstimme), „Nobody But The Lord“ (Soulgospelballade mit schöner Bläser-Backgroundchor-Untermalung) und „Tell Me Why“ (Basslinie, dazu moderne Elektrocomputersounds, langsam schält sich aus einer behutsamen Bluesballade ein leichter Soulfunk heraus, klingt nach Stax 4.0.)

Eli Paperboy Reed 99 Cent Dreams Label: Yep Roc/H’Art Format: CD, LP
Eli Paperboy Reed 99 Cent Dreams Label: Yep Roc/H’Art Format: CD, LP

Zu den speziellsten sportlichen Ertüchtigungen der Welt gehört das Apnoe-Tauchen in den Tiefen des weltweiten Wirrwarrs, und unbesungener Champion darin ist natürlich das Recherche-Orakel der FIDELITY-Redaktion, the P. who’s me, Euer liebster Funk- und Soulprediger. Als Beifang meiner ökologisch einwandfreien Schleppnetz-Fahndung in Sachen Eli Paperboy Reed zog ich dies aus dem Bermudaviereck verschollener Informationsfragmente: Auf dem neuen, mittlerweile fünften Werk des noch immer erstaunlich jungen Soulshouters Reed wirken The Masqueraders mit, eine der langlebigsten und gleichzeitig unbekanntesten Soul-Bands der Welt, seit den späten Fünfzigern aktiv und nie wirklich berühmt. Ein Motown-Plattenboss unterband den Durchbruch einst mit dem Argument, der Sound der Sangesbrüder sei dem der damals durchstartenden Temptations zu ähnlich … Als tragische Spätestfolge passierte nun dies: Ein im Schnitt fast 80-jähriges Resttrio der Masqueraders bewarb sich 2017 bei America’s Got Talent, groovte sich, getragen von einer Mischung aus Bewunderung und Seniorenfürsorge, bis ins Viertelfinale, wo man schließlich von der späteren Siegerin des Castings-Formats geschlagen wurde: einer zwölfjährigen Bauchrednerin, deren Plüschhase eine rosa Puschelfrisur trug. America, land of confusion … So, und nun zu Mr. Reed: Entspanntes Rhythm-and-Blues-Werk im Sound der späten Fünfziger, schon für den deutlich gospelgroovigeren Vorgänger My Way Home fand der Professor nur wärmste Worte. Aufgenommen in den Traditionsstudios Sam Phillips Recording in Memphis, dort, wo schon Bob Dylan, Roy Orbison und Johnny Cash vors Mikro traten. Reed darf das, er klingt und sieht aus, als sei Otis Redding in den Körper eines Highschool-Quarterbacks geraten, Leute, Leute, old fashioned Rock-and-Roll-Pop, swing those hips and dance the night away… Und Dank für die Reaktivierung der Masqueraders!

Mother Upduff Tales Of Tangle Label: Nasoni Records Format: LP
Mother Upduff Tales Of Tangle Label: Nasoni Records Format: LP

Achtung, Tag der offenen Tür bei des Professors Rhythm and Soul Revue. Wann? Jetzt. Heuer will ich die hochgeschätzte Lesezirkelklientel mal kurz hinter den roten Samtvorhang meines kleinen Off-Breitweg-Musikrevuetheaters schauen lassen und Euch bei einer Scoutingtour an die Hand nehmen. Da spielte neulich die bereits in FIDELITY vorgestellte schwedische Doom-Blues-Mädelsband MaidaVale erneut in einer schön verranzten Kaschemme am Hafenrand. Im Vorprogramm Liquid Orbit, eine mir unbekannte Psychedelic-Gruppe aus Bremen. Klopf-klopf beim Label Nasoni Records aus Berlin, Spezialist für Bewusstseinserweiterung via Vinylkonsum. Kurze Zeit später hatte der Professor den DHL-Paketstationskasten gut gefüllt mit Vinyl der vagen Kategorie Heavy-Duty-Drug-Soul. Unter anderem dies: Mother Upduffs Tales Of Tangle. Quartett aus Vancouver, Kanadadideldum. Entschuldigt diesen oder jenen semantischen Ausrutscher, Nachwirkungen des Nasoni-Vinyl-Genusses. Auf Intervention des Labels wurden alle von Mother Upduff in Eigenregie veröffentlichten sechs EPs, bislang nur als Download auf Bandcamp gegen Spende angeboten, neu abgemischt und auf Vinyl gepresst. 20 Songs, darunter vier bislang unveröffentlichte, ein psychedelisches Garagenbluesfolksoul-Gesamtkunstwerk. Gitarren, zwischen der Monotonie eines R.L. Burnside und düsterem Doom-Rock taumelnd, Sänger Jeff Collins wankt dazu zwischen brüchiger Folk-Melancholie und bluesgetränkter Motörhead-Manie – schlicht genial. Anspieltipps: „Grave Robber“ (bedächtig-bravouröse Dekonstruktion des Genres Blues), „The Captive“ (klingt seltsamerweise nach einem Puts-Marie-Song, s. o., intoniert von einer Deep-Purple-Coverband aus dem Mississippi-Delta) und „Transient (Electric)“ (Zeitlupenfunk mit Doors-Keyboard). Fazit: Strange, but beautiful, wie man in Kanada so sagt. Zu beziehen über Bandcamp oder www.nasoni-records.com.

Der Beitrag Prof. P.’s Rhythm and Soul Revue erschien zuerst auf FIDELITY online.

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