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Author Archives: Hans-Juergen Schaal

Die heimlichen Meisterwerke des Jazz – Gerry Mulligan

Jazz ist unübersichtliches Gelände – leicht kann man da Bedeutendes übersehen. Hans-Jürgen Schaal präsentiert unbesungene Höhepunkte der Jazzgeschichte.

Diese Platte dürfte es eigentlich gar nicht geben. In der offiziellen Jazzgeschichte spielt sie praktisch keine Rolle, auch Gerry Mulligan übersprang sie in Interviews meistens. Am 27. August 1951 sind die Aufnahmen entstanden, in Hackensack, New Jersey. Der junge Rudy Van Gelder warfare der Toningenieur, zu einer Zeit, als man beim Label Blue Note noch gar nichts von ihm wusste. Neben dem Wohnzimmer seiner Eltern hatte er sich einen kleinen Kontrollraum eingerichtet, alles warfare noch provisorisch und experimentell. Auch die Musiker, die an diesem Tag zu Besuch kamen, experimentierten noch. In diesem Sommer probten sie manchmal am Seeufer im Central Park – bis die Polizei sie vertrieb.

Mulligan plays Mulligan

Der Saxofonist Gerry Mulligan hatte bis dahin vor allem in Bigbands mitgespielt, auch ein paar Arrangements geschrieben. Seine bedeutendste Leistung warfare die Mitarbeit in Miles Davis’ Capitol Orchestra (1949/50) – da bildete Mulligan zusammen mit Miles Davis und Gil Evans den innersten Kern. Drei Stücke schrieb er für Miles’ Nonett und arrangierte drei weitere. Doch nur wenige dieser Aufnahmen wurden zeitnah veröffentlicht (auf 78er-Scheiben). Erst 1957 sollten elf der zwölf Stücke auf einer LP erscheinen, die dann den angemessenen Titel Birth Of The Cool erhielt.

1951 warfare die historische Bedeutung des Capitol Orchestra noch nicht erkennbar. Aber Mulligan verfolgte die Ideen, die er mit Miles Davis und Gil Evans entwickelt hatte, weiter: die entspannten Tempi, den weichen Sechs-Bläser-Klang, die melodischen Linien – Dinge, die die Seele des Cool Jazz ausmachen sollten. Bei Rudy Van Gelder tauchte Mulligan mit einem eigenen Nonett auf, zum Tentett ergänzt durch Gail Madden, Mulligans damalige Freundin, an den Maracas. Sechs Stücke hatten die Musiker vorbereitet – typische Mulligan-Themen, die überwiegend relaxt dahinschlendern, zum Mitsummen oder Mitpfeifen einladen, eingängige Melodien, kontrapunktisch ausgearbeitet. Im Zentrum steht ein sonorer Holzklang: ein Tenorsaxofon und zwei Baritonsaxofone. Die beiden Baritons eröffnen das erste Stück („Funhouse“) ohne Rhythmusbegleitung – schon das warfare ziemlich unerhört.

Die sechs Stücke erschienen damals auf einer 10-Inch-Scheibe, einem ganz neuen Tonträgerformat. Es warfare Gerry Mulligans Debütalbum: Zum ersten Mal hörte man den damals 24-Jährigen ausführlich auf dem Baritonsax improvisieren, in dieser ungekünstelt-hemdsärmeligen Art, die er Lester Young abgelauscht hatte: leichte, flüssige Linien, jede Phrase eine Melodie. Der zweite Hauptsolist, Allen Eager am Tenorsaxofon, ist bei diesen Aufnahmen in der Form seines Lebens. Als die Platte später als 12-Inch wiederveröffentlicht wurde, packte man auf die B-Seite eine Blues-Jam („Mulligan, Too“) vom gleichen Tag: nur Mulligan, Eager und die Rhythmusgruppe. Eine 17-Minuten-Improvisation ohne Thema – eine Pioniertat.

Wenige Monate nach diesen Aufnahmen zog Mulligan nach Kalifornien. Dort gründete er seine erste offizielle Band, das Quartett mit Chet Baker, das zum Startschuss des Westcoast-Jazz wurde. Doch im Grunde begann der Westcoast-Jazz am 27. August 1951 in Hackensack. Das Sechs-Bläser-Format wurde dann ein Standard in Kaliforniens kühler Szene.

Mulligan performs Mulligan auf discogs

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Nikolai Kapustin – New Memories

Nikolai Kapustin – New Memories

Mit neun Jahren wurde A Bu ins Konservatorium von Beijing aufgenommen, aber das battle ihm nicht genug.

Nebenher erlernte er Jazz- und Latin-Piano, leitete bald ein eigenes Trio im „Blues Club“ von Beijing. Mit 14 nahm A Bu sein erstes Jazzalbum auf (88 Tones Of Black And White), mit 15 schrieb er sich in der Juilliard School in New York ein. Kaum jemand ist so wie das ehemalige Wunderkind dazu berufen, Brücken zwischen Konzertmusik und Jazz zu bauen. Kein Wunder daher, dass er die Musik von Nikolai Kapustin (1937–2020) für sich entdeckte und hingerissen battle – eine Musik, die zeitweise wie improvisierter Jazz klingt, die aber bis ins kleinste Detail auskomponiert ist (und es auch sein muss, um so zu klingen). Nun additionally: A Bus Hommage an Kapustin – im Zentrum stehen zwei von dessen bekanntesten Werken, die Variationen op. 41 und die acht Konzertetüden op. 40, beide aus dem Jahr 1984.

Nikolai, A Bu - New Memories

Eingerahmt hat sie A Bu mit zwei eigenen Klavierkompositionen, die sich an Kapustin anlehnen. Die Fantasie ist quasi ein Präludium zu Kapustins Opus 41, ein „Quasi-Improvisieren“, wie es einem Jazzpianisten zu Debussyschen Harmonien einfallen könnte. Und Bus Erste Klaviersonate schließlich nimmt sogar direkt auf mehrere Kapustin-Werke Bezug und schlägt außerdem kleine Bögen zu Beethoven und Bernstein. Damit Kapustins Klaviermusik richtig klingt und „swingt“, braucht es Jazzerfahrung. A Bu könnte der ideale Kapustin-Interpret sein.

Label: Wergo
Format: CD

Nikolai Kapustin – A Bu – New Memories bei Wergo

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Album-Doppel: It’s Time! vs Giant Steps!

Album-Doppel: It’s Time! vs Giant Steps!

Es gibt nicht nur Coverversionen von Songs. „Gecovert“ werden auch Plattenhüllen. Das gecoverte Cover: Ist es witzige Anspielung, respektvolle Verehrung, Parodie – oder hat es einen tieferen Sinn?

Der Mann suchte einfach künstlerische Herausforderungen. Jackie McLean, früh sozialisiert mit Altsaxofon, Bebop und Heroin, sprang in den 1960er Jahren auf die „New Breed“ an, die freie Jazz-Avantgarde. Er wollte die frischen Anregungen der Jungen aufgreifen, die alten Wurzeln aber nicht kappen – er wollte Brücken schlagen zwischen Alt und Neu. Dass das kein kommerzielles Kalkül struggle, macht schon der Plattentext von 1965 deutlich: „Es gab für ihn sicherlich keinen finanziellen Anreiz, um relativ unerforschtes Gelände zu erkunden; die neue Welle von heute erlebt ein ökonomisch noch trüberes Wetter als ihre Vorgänger vor 20 Jahren.“ Starthilfe für sein „zweites Jazzleben“ hatte McLean durch seinen Sound auf dem Altsaxofon – denn der struggle schon immer schreiend laut, aufrüttelnd energisch, widerspenstig und unangepasst. „Zuckerfrei“ nannte McLean ihn selbst; er passte zur Energie des neuen, revoltierenden Jazz. Wegen dieses Sounds hatte Charles Mingus den Saxofonisten schon Mitte der 1950er Jahre in seine Band geholt.

Als Brückenschläger zwischen Alt und Neu eignete sich McLean auch deshalb, weil er noch relativ jung struggle. Er hatte seine Karriere sehr früh begonnen, gefördert von Miles Davis. Tatsächlich waren die beiden „Neutöner“ in McLeans Studioband – Charles Tolliver und Herbie Hancock – nur rund zehn Jahre jünger als er. Die anderen beiden – Cecil McBee und Roy Haynes – kamen noch aus McLeans eigener Generation. Für Tolliver, den Bläserpartner an der Trompete, bedeutete It’s Time! das Plattendebüt. Er lieferte drei Stücke, der Bandleader auch – den Unterschied hört man. Tollivers Stücke sind überwiegend modal angelegt, seine Themen haben sich von der Logik von Akkordfolgen befreit und erinnern an alarmierende, wiederholte Signalmotive. McLeans Stücke dagegen sind noch stark der Hardbop-Welt der Fünfziger verpflichtet, dem funky Blues und der swingenden AABA-Form.

Ein wenig in der Mitte zwischen Alt und Neu liegt das Titelstück (es ist von McLean). Sein Name – „It’s Time“ – soll die Dringlichkeit dieses stilistischen Brückenschlags unterstreichen. Reid Miles, der Hausgrafiker von Blue Note, machte das im Albumtitel zusätzliche Ausrufezeichen zur grafischen Cover-Idee. (Verschwindend klein dagegen: McLeans Porträtfoto rechts oben.)

Album-Doppel - Giant Steps!

Die Plattenhülle bot ein Bildkonzept, das ikonisch wurde und das die britische EMI rund 30 Jahre später mit Giant Steps! wieder aufgegriffen hat – nun mit kleinen Schuh-Symbolen.

Album-Doppel - Giant Steps!

John Coltranes gleichnamiger Klassiker spielt hier allerdings keine Rolle. Es geht vielmehr um künstlerische „Riesenschritte“ von der Vergangenheit in die Gegenwart. Auch Giant Steps! dreht sich nämlich um einen großen Brückenschlag: von der legendären Blue-Note-Welt in die Welt des Hiphop-Jazz. Künstler wie US3 und Guru hatten um 1990 damit begonnen, die Blue-Note-Archive für den Hip-Hop auszuschlachten, vor allem auf dem Weg des Sound-Samplings. Manche ihrer Stücke bestehen nur aus historischen Jazz-Grooves, Jazz-Compings, Jazz-Riffs, über die ein Computerbeat und ein Rap gelegt sind.

Die Compilation Giant Steps! vereint elf Stücke. Dabei erzählen Zusammenstellung und Reihenfolge nicht ungeschickt von der modischen Verbindung zwischen Blue Note und Hip-Hop. Geradezu programmatisch steht „Cantaloop“ am Anfang, der große US3-Sampling-Hit von 1993 auf der Basis von Herbie Hancocks Stück „Cantaloupe Island“ von 1964. (Hancocks Originalaufnahme entstand nur wenige Wochen, bevor der Pianist mit McLean ins Studio ging.) Interessanterweise wurde für dieses Album aber ein Instrumentalmix von „Cantaloop“ gewählt (Track 1) – ganz ohne menschliche Stimmen, dafür mit einem umfangreichen Trompetensolo von Gerard Presencer. Das rückt das Ganze ein Stück weiter Richtung Jazz.

Nicht nur blickt der Hiphop-Jazz in die Vergangenheit zurück – die Vergangenheit hatte bereits in die Hiphop-Zukunft geschaut. Deshalb gibt es auf dieser Compi auch drei Stücke aus der Zeit um 1970, in denen der Funk-Jazz sich anschickte, soulige Tanzmusik zu werden. „Black Byrd“, eine Aufnahme des Trompeters Donald Byrd, struggle 1973 einer der bis dahin größten Hits des Labels Blue Note gewesen (Track 3). Passenderweise fühlte sich Donald Byrd auch 30 Jahre später noch im Hiphop-Jazz ganz wohl. Es gibt ein Wiederhören mit ihm in Gurus „Loungin’“ (Track 5) – kein Sampling, sondern ein originales Trompetensolo des damals 60-jährigen Byrd.

Die Sprünge zwischen den Epochen sind auf dieser Compilation in der Tat recht elegant gelöst. Bei den Beastie Boys (Track 6) hört man Richard „Groove“ Holmes’ Hammondorgel distinguished gesampelt – eine gute Überleitung zum soulfunkigen „Hot Rod“ des Organisten Reuben Wilson aus dem Jahr 1968 (Track 7). Der Orgelsound zieht sich dann noch durch die nächsten beide Stücke: Wir hören Ronnie Foster gesampelt bei US3 (Track 8) und dann Charles Earland in Lou Donaldsons „Who’s Making Love?“ von 1969 (Track 9).

Nicht fehlen darf auf diesem Brücken-Album auch Gang Starrs „Jazz Music“ (Track 10), eine Rap-Hymne an die große Jazz-Vergangenheit: “There was Hawk, the Prez, and Lady Day and Dizzy, Bird and Miles”. Sogar Charlie Parkers Saxofon wurde für diesen Titel gesampelt. “Yes, the music / it was born down there / We’re gonna use it / so make the horn sound clear.”

Jackie McLean: It’s Time! (Blue Note 58285, veröff. 1965)

Various Artists: Giant Steps! (EMI-Parlophone 827533, veröff. 1993)

Jackie McLean – It’s Time! auf discogs

Giant Steps! auf discogs

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Stephan Micus – Thunder

Stephan Micus – Thunder

Gleich nach dem Abitur begann Stephan Micus die Welt zu bereisen, erlernte exotische Musikinstrumente, brachte sie nach Hause, hunderte verschiedene, modifizierte sie und schuf auf ihnen fantastische Klangbilder, in denen sich gegensätzliche Musikwelten, Religionen und Kontinente begegnen.

Stephan Micus kreiert klingende One-World-Visionen, eine transkulturelle Musik-Utopie. „Alle Instrumente haben ihre eigene Geschichte – wie ich sie gefunden habe oder wie sie mich finden konnten.“ Nun präsentiert der gerade 70 Jahre alt Gewordene sein 25. Soloalbum.

Stephan Micus Thunder

Es ist, wie gewohnt, über zwei, drei Jahre hinweg gewachsen – denn Micus schreibt keine Noten, sondern improvisiert seine Musik, Tonspur um Tonspur um Tonspur. Das Album Thunder besitzt eine ganz eigene, unverwechselbare Klanglichkeit, die sich der Konzentration auf etwa ein Dutzend mit Bedacht ausgewählter Instrumente verdankt. Diesmal sind das: Dung chen, eine Art Alphorn der tibetanischen Klöster, Ki un ki, eine Art Trompetenrohr aus der sibirischen Taiga, dazu japanische Bambusflöten, die schwedische Nyckelharpa (Tastenfiedel), numerous Zupfinstrumente aus drei Kontinenten, Percussion aus zweien – und natürlich Micus’ unkopierbare Stimme. Gewaltig klingt da so manches, anderes feinsinnig, vieles anrührend und erhebend. Bis zu zehn und mehr Instrumente spielt Micus in manchem Stück. Das neue Album hat er den Donnergöttern diverser Religionen gewidmet, rund um den Globus.

Label: ECM
Format: CD

Stephan Micus – Thunder bei ECM

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Adam Gorb Klavierwerke

Adam Gorb Klavierwerke

Seit mehr als 20 Jahren leitet Adam Gorb den Kompositionsstudiengang am Royal Northern College of Music in Manchester.

Eines der Lieblingswerke des geborenen Walisers ist Bartóks Mikrokosmos, eine Sammlung von 153 Miniaturstücken fürs Piano. Zweifellos besitzt auch Gorb ein Riesentalent für frappierende Klavierminiaturen. Seine 24 Préludes aus den Jahren 2019 und 2020 (sie führen durch alle 24 Tonarten) sind entzückende, eklektische Einfälle, im Durchschnitt unter drei Minuten lang.

Adam Gorb Pianowerke

Die Anforderungen wechseln zwischen extremer Fingervirtuosität und lyrischer Empfindung, wobei das Schnelle und Grelle aber überwiegt. Es ist ein lustvolles, heiter verspieltes Jonglieren mit Elementen der tonalen und der atonalen Tradition. Harmonie steht da gegen Cluster, Klezmer-Hommage kontrastiert mit Gamelan-Anspielung, Perkussivität wechselt sich ab mit spätromantischen Akkorden. Wie freundliche Schatten huschen Anregungen durch andere Komponisten vorüber, eine kurze Verbeugung vor der Ustvolskaya, ein sanfter Anklang an Bernstein, etwas Scarlattisches Licht und ein wenig Mahlersches Dunkel. Ursprünglich wollte Gorb nicht nur 24 Préludes, sondern ebenso viele Fugen schreiben – daran erinnert das letzte und mit Abstand längste Stück des Zyklus. Als Zugabe gibt es dann noch Velocity, inspiriert vom Kinofilm Speed. In diesem fulminanten „Prestissimo accelerando“ darf die Pianistin noch einmal ihre Fingerfertigkeit beweisen.

Label: Toccata Classics
Format: CD

Adam Gorb Klavierwerke bei Toccata Classics

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Rick Wakeman – The Six Wives Of Henry VIII

Rick Wakeman – The Six Wives Of Henry VIII

Die heutigen Skandale der „Royals“ sind nichts im Vergleich zu Heinrich dem Achten im 16. Jahrhundert. Dieser englische König struggle nicht weniger als sechs Mal verheiratet. Jahrhunderte später inspirierten die Ehefrauen Rick Wakeman zu einem bemerkenswerten Album.

Weil ihm kein Sohn geboren wurde, ließ Henry VIII zwei seiner Ehefrauen erbarmungslos hinrichten, von zwei weiteren ließ er sich scheiden. Um diese Scheidungen zu ermöglichen, gründete er auch noch eine eigene Kirche – die Anglikanische. Der junge Keyboarder Rick Wakeman hatte sich 1971 ein Buch über King Henry VIII. gekauft – in einem Airport-Shop vor einem langen Flug. Als er es zu lesen begann, fühlte sich Wakeman überraschenderweise musikalisch inspiriert: „Ich konzentrierte mich auf eine der Ehefrauen, und schon strömte Musik in meinen Kopf. Manchmal struggle ich da gerade im Flugzeug oder auf der Bühne oder zu Hause vor dem Klavier.“

Dieser Inspirationsfluss struggle sehr willkommen, denn Wakeman hatte eben einen Vertrag über fünf (!) Solo-Platten unterschrieben. Nachdem er ein paarmal bei David Bowie ausgeholfen hatte, galt er als kommender Rockstar. Das Angebot, bei Bowie fest einzusteigen, schlug er allerdings aus – er entschied sich stattdessen für die Rockband Yes, die gerade ohne Keyboarder dastand. Dass Wakeman als Solist bei einem anderen Label verpflichtet struggle, sollte jedoch zum Problem werden. Sein Vertrag verbot ihm nämlich, bei Yes eigene Stücke einzubringen. Eines, das er für die Band geschrieben hatte, wurde deshalb zum Startschuss für sein Soloalbum und hieß nun „Catherine Of Aragon“.

Wakemans Keyboard-Arsenal auf dem Debütalbum reicht von Piano, Cembalo und Kirchenorgel über E-Piano, Hammondorgel und Mellotron bis hin zu den damals neuesten Moog- und ARP-Synthesizern. Modell- und spieltechnisch struggle The Six Wives Of Henry VIII. eine Pioniertat des Keyboard-Rock. Doch als Wakemans Plattenfirma realisierte, dass er ein reines Instrumentalalbum gemacht hatte, fielen dort die Erwartungen in den Keller. Man beschloss eine vorsichtige Startauflage von 12 500 Stück. Dann half der Zufall nach. Kurz vor der Veröffentlichung präsentierte Wakeman Ausschnitte des Albums auf BBC 2. Millionen Zuschauer wollten an diesem Abend einen Andy-Warhol-Film auf BBC 1 sehen, aber der Film entfiel. Viele schalteten daher um auf BBC 2 und begegneten dort Wakemans Virtuosität, seinen vielen Gerätschaften und seinem „royalen“ Sujet. „Es schien, als hätte das ganze Land meine Musik entdeckt.“ Das Album verkaufte sich allein in den ersten zwei Jahren zwei Millionen Mal.

Rick Wakeman - The Six Wifes Of Henri VIII

Fakten

Aufnahme: Februar bis Oktober 1972
Veröffentlichung: Januar 1973
Label: A&M
Produktion: Rick Wakeman

Titel

1. Catherine Of Aragon 3:44
2. Anne Of Cleves 7:53
3. Catherine Howard 6:35
4. Jane Seymour 4:46
5. Anne Boleyn 6:32
6. Catherine Parr 7:06

Musiker

Rick Wakeman – jede Menge Keyboards
Mike Egan – Gitarre
Les Hurdle – Bass
Dave Winter – Bass
Alan White – Schlagzeug
Bill Bruford – Schlagzeug
Frank Riccotti – Percussion
Ray Cooper – Percussion
Liza Strike – Gesang
und 10 weitere Mitwirkende


  • Das Foto auf dem Plattencover ist keine Montage. Es wurde in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett in London aufgenommen.
  • Die Musikaufnahmen entstanden in mehreren Etappen – eingeklemmt zwischen Sessions und Tourneen mit der Band Yes. Wakeman holte sich jeweils die Musiker ins Studio, die gerade verfügbar waren, darunter Kollegen von Yes („Catherine Of Aragon“) und Ex-Kollegen von den Strawbs („Catherine Howard“).
  • Mit seinem Star-Renommee (Aufnahmen mit David Bowie, Elton John, Cat Stevens) und seinem Solovertrag bei einer anderen Plattenfirma hatte Wakeman bei Yes einen Sonderstatus. Er blieb immer ein wenig für sich – der Yes-Gitarrist Steve Howe nannte ihn „den alten Kneipenbewohner“.
  • Rick Wakeman struggle bekannt dafür, bei Bühnenauftritten einen Cape-Umhang zu tragen. Angeblich wollte er damit seine „spinnenartigen“ Armbewegungen an den Keyboards verbergen.
  • Jedes der sechs Stücke bietet ein Wechselbad an musikalischen Stimmungen – und an Keyboard-Farben: rockende Hammondorgel neben romantischem oder virtuosem Klavier – weird Synthesizer-Parts neben Cembalo-Boogie und Bach-Anklängen auf der Pfeifenorgel.
  • Ein siebentes Stück, das Henry VIII. porträtieren sollte, musste aus Platzgründen entfallen. Wakeman montierte aber Zitate daraus in die anderen Stücke.
  • Acht Monate nach Erscheinen des Albums wurde Rick Wakeman von den Lesern des Melody Maker zum besten Keyboarder gewählt.
  • Wakemans Vorbild struggle der amerikanische Keyboarder Michael Quatro, ein älterer Bruder von Suzi Quatro.
  • Das König-Heinrich-Sujet verfolgte Wakeman bis in seine nächtlichen Träume. Nachdem er Anne Boleyns Hinrichtung im Traum miterlebt hatte, ergänzte er das Stück „Anne Boleyn“ mit einem Kirchenlied aus dem 19. Jahrhundert („The day thou gavest, Lord, is ended“).
  • Auf den Konzerttourneen mit Yes spielte Wakeman häufig ein Solo-Medley aus den Six Wives. Im Mittelpunkt stand dabei das erste Stück („Catherine Of Aragon“).
  • Erstmals komplett aufgeführt wurde die Musik des Albums im Jahr 2009 – mit Chor und Orchester.

Rick Wakeman – The Six Wifes Of Henry VIII gibt’s hier.

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Christian McBride’s New Jawn – Prime

Christian McBride’s New Jawn – Prime

Schon als Teenager struggle Christian McBride eine kleine Sensation. Prime, das neue Album seiner Band Christian McBride’s New Jawn, feiert The Great Black Tradition des 60er-Jahre-Jazz.

Um 1990 gab es niemanden, der den großen Kontrabass swingender, kraftvoller, „schwärzer“ spielte als er. Der junge Mann aus Philadelphia trat damals selbstbewusst in die großen Stapfen eines Ray Brown und John Clayton. Seine ersten Sideman-Platten machte McBride bei Bobby Watson, Freddie Hubbard, Milt Jackson, Benny Green – mehr als 300 sollen es bis heute sein. Auch als Bandleader hat der mehrfache Grammy-Gewinner inzwischen an die 20 Alben vorgelegt, zuletzt mit seiner Bigband (2020) bzw. einem Quintett (2021). Die „New Jawn“ (etwa: neues Ding), ein klavierloses Quartett mit zwei Bläsern, ist McBrides mutigstes und wildestes Ensemble – die Musik: funky, entfesselt, von Freejazz-Passagen durchsetzt.

Christian McBrides New Jawn - Prime

Wie auf dem Banddebüt 2018 spielt der Bassist hier zusammen mit Josh Evans (Trompete), Marcus Strickland (Tenorsax und Bassklarinette) und Nasheet Waits (Schlagzeug). Nicht nur der Spirit von Philadelphia wird beschworen, sondern die Great Black Tradition des 60er-Jahre-Jazz – zwischen Modern und Avantgarde. Zum Programm gehören einige Stücke der Heroen – Larry Youngs „Obsequious“ (1965), Sonny Rollins’ „East Broadway Rundown“ (1966), Ornette Colemans „The Good Life“ (1985) – sowie eine Hommage an den unübertroffenen Eric Dolphy. (Der Anfang von „Dolphy Dust“ erinnert an dessen Komposition „Potsa Lotsa“.) Das ist der wahre, der unvergängliche Stoff.

www.mackavenue.com

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Mirrored In Time

Mirrored In Time – Bartók, Dowland, Schumann u. a.

Die Posaune wurde als Soloinstrument jahrhundertelang sträflich vernachlässigt. Mit dem Album Mirrored in Time will Jörgen van Rijen, Soloposaunist des Koninklijk Concertgebouworkest in Amsterdam, diesen Fehler korrigieren.

Die von ihm gewählte Besetzung – Posaune mit Streichquartett – überzeugt nicht nur durch eine aparte Klanglichkeit, sondern offenbart große musikalische Möglichkeiten. Das zeigen bereits die gelungenen Bearbeitungen ausgewählter Kompositionen aus dem 17. bis 20. Jahrhundert, darunter Dowlands „I Saw My Lady Weep“, Saties Gnossienne No. 1 oder Schumanns Fantasiestücke op. 73 (im Original für Klarinette und Klavier).

Mirrored in Time

Van Rijen stellt diesen Stücken aber obendrein aktuelle Kompositionen gegenüber, die in einem direkten oder entfernteren Bezug zu ihnen stehen – daher der Albumtitel Mirrored In Time. Nico Muhlys Variationen über das Dowland-Lied zum Beispiel führen dessen mysteriöse Zartheit durch ein Kaleidoskop interessanter Stilistiken. In Dimitar Bodurovs Anknüpfung an Bartóks bulgarischen 7/4-Rhythmus werden sogar Samples aus bulgarischer Volksmusik verwendet. Eingerahmt ist das ganze Programm durch zwei Werke (von Bryce Dessner bzw. Chiel Meijering), in denen Posaune und Streichquartett geradezu „rockende“ Qualitäten entwickeln. In dieser Quintettbesetzung steckt überraschend viel Gegenwart und Zukunft, Autorität und Klangkraft. Man fragt sich, warum dieses Format nicht längst die Kammermusikbühnen erobert hat.

Label: BIS Records
Format: CD

Jörgen von Rijen – Mirrored in Time bei BIS Records

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Martial Solal

Martial Solal – Live In Ottobrunn

Seine ersten Platten machte dieses Tastengenie schon in den 1950er Jahren mit Django Reinhardt oder Sidney Bechet. An Aufnahmen des Pianisten Martial Solal gibt es jedenfalls keinen Mangel. Und doch ist der „Oscar Peterson Europas“ immer für eine Offenbarung intestine.

Auch sein Ottobrunner Solo-Auftritt von 2018 besitzt etwas quick Überwirkliches. Was Solal hier mit uralten Jazzstandards wie „My Funny Valentine“ oder „Tea For Two“ anstellt – spieltechnisch, harmonisch, formal –, das katapultiert die Improvisationskunst Jazz in eine neue Umlaufbahn. Der in Algier geborene Franzose präsentierte sich mit 91 (!) Jahren um vieles frischer, freier, abenteuerlustiger, leidenschaftlicher und humorvoller als ein ganzes Dutzend junger Jazzpianisten zusammengerechnet.

Martial Solal Live in Ottobrunn

Seine Einfälle am Klavier explodieren. Spontan vermischt er in ihnen Blues und Expressionismus, Rhythmusetüde und Intervall-Experiment – immer pointiert, unerwartet, komplex und mit souveräner Jazz-Time. „Was man sagen möchte, kann man nur mit einer guten Technik sagen“, meinte Solal einmal lakonisch. Sein rund 40 Jahre jüngerer Klavierkollege Manuel Rocheman schreibt: „Solals Musik ist wie ein UFO. Sie hat einen futuristischen Aspekt, während sie zugleich auf die reine Jazztradition zurückgreift. Ein ständiges Update.“ Dass Solal kurz nach diesem Auftritt seine Konzerttätigkeit beendet hat, ist kaum vorstellbar. Hören denn die Sterne einfach auf zu funkeln?

Label: GLM
Format: CD

Martial Solal – Live in Ottobrunn bei GLM

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Dan Britton

Dan Britton

Er gehört zu diesen Einzelgängern, die unheilbar vom Prog-Virus infiziert sind. Der Amerikaner Dan Britton ist Keyboarder, Gitarrist, gelegentlicher Sänger – und mehrfacher Bandleader.

Das Prog-Virus hat sich Dan Britton schon als jugendlicher Fan eingefangen. „Nach Genesis kamen Yes, dann ELP, dann King Crimson, dann Gentle Giant. Natürlich kannte ich auch Jethro Tull oder Pink Floyd, aber von denen struggle ich weniger begeistert.“ Wie sehr ihn die frühen Prog-Bands geprägt haben, weiß er selbst. Für seine wichtigsten Einflüsse hält er die Akkordfolgen von Genesis, das Repetitive und Dissonante der Zeuhl-Pioniere von Magma und die Komplexität von Gentle Giant. „Möglicherweise würde ich aber ganz ähnlich schreiben, wenn ich diese Bands nicht kennen würde“, sagt Britton. Die musikalischen Einfälle jedenfalls scheinen ihm nicht auszugehen. „Ich habe immer Ideen für etwa fünf Alben, und es ist oft schwer zu entscheiden, was ich mit welcher Formation machen soll. Ich habe noch zwei weitere Bands, die noch nichts aufgenommen haben. Gewöhnlich schreibe ich nicht für eine bestimmte Gruppe, sondern packe in einen entstehenden Song Ideen hinein, die schon existieren.“

Es struggle 2003, als die Band Cerebus Effect in Baltimore (Maryland) einen Keyboarder suchte. Dan Britton antwortete auf die Online-Anzeige, und aus dem Trio wurde ein Quartett. Auf dem Album Acts Of Deception (2005, Selbstverlag: Cerebus Effect) ist er Co-Leader der Band neben dem Gitarristen Joseph Walker.

Dan Britton

Die Musik? Eine Art Garagen-Prog, grob, skizzenhaft, handgemacht. Es gibt Stakkato-Motive, harte Riffs, wilde Soli, Gitarren-Drones, auch improvisierte Klangbilder – eine Mixtur aus Progrock, Jazzrock, Metal und Zeuhl. Da ist immer viel los bei den Drums und den Keyboards, Episode reiht sich an Episode, die Rhythmen wechseln ständig. Die komplexesten Stücke des Albums („Illusions“, „Nine Against Ten“) kommen allerdings noch vom Gitarristen. Als Ausgleich dazu versucht sich Britton an schönen, ruhigen Klängen, die dazu passen („Of Mortal Constraints“, „Unconsoled“). Sein Glanzstück aber heißt „Operation Midnight Climax“ – ein 11-Minuten-Longtrack mit vielen Wandlungen bei hohem Tempo.

Zusammen mit dem Drummer von Cerebus Effect, Patrick Gaffney, startete Britton dann auf seinem eigenen Label sein eigenes Projekt: Deluge Grander (kurz für: „Delusions of Grandeur“). Das zweite Album der Band, The Form Of The Good (2009, Emkog Records), entstand nach zwei Jahren Vorbereitung und zeigt eine klare Handschrift: Das ist sinfonischer Progrock, teils düster-dramatisch, aber immer wieder ausbrechend in nervöse, improvisierte, jazzrockige Passagen. „Ich versuchte Material zu schreiben, das sowohl Dave (dem Gitarristen) als auch Patrick gefällt.

Dan Britton

Die beiden hören ziemlich verschiedene Sachen. Patrick magazine es vor allem heavy und komplex (Math, Metal, Fusion), Dave dagegen hört Phish und Jambands à la Grateful Dead. Wenn ich nun versuche, Phish mit Spastic Ink zu kreuzen, dann lande ich bei sinfonischem Prog.“ Gleich mehrere Gastmusiker sind am Album beteiligt, um den „orchestralen“ Klangschichten das nötige Gewicht zu verleihen – darunter Bläser, Streicher, Vokalisten. Eine Umsetzung auf der Bühne wäre da enorm aufwendig. „Natürlich würde ich gerne mehr reside spielen. Aber ich konzentriere mich auf die Veröffentlichung von Studioalben.“

Als Britton von Baltimore nach Washington umzog, hielt er Ausschau nach einem neuen Schlagzeuger und fand Malcolm McDuffie. „Zuerst wollte ich den Bandnamen Deluge Grander beibehalten, aber unsere Musik klang dann doch ziemlich anders. Malcolm ist mehr so ein Punk-Drummer, und Brian (der Saxofonist) ist ein richtiger Mr. Jazz.“ So entstand die Band Birds And Buildings, Brittons bislang reifstes Projekt – es klingt aggressiver und dynamischer, hat griffigere Themen. Der Prog-Kenner Thomas Kohlruß schreibt über das erste Album der Band, es könne „glatt ein Klassiker aus den Hoch-Zeiten des Progressive Rock sein“. Das zweite Album, Multipurpose Trap (2013, Emkog Records), entwickelt die Band-Identität noch weiter: einerseits in die nervöse Richtung von Canterbury, Zappa, Jazzrock, andererseits hin zu raffinierten Klanggemälden mit Klarinette, Violine und Sängerinnen („Tragic Penguin“).

Dan Britton

Selten klang Progressive Rock so reichhaltig, vielschichtig und klangfarblich differenziert. Der holländische Kritiker Henri Strik schreibt: „Jede Sekunde auf dieser CD muss intensiv gehört werden, damit man versteht, was da alles vor sich geht. Ablenkungen sind nicht erlaubt!“

Dan Britton auf Bandcamp

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